Belohnungen sind beliebte Erziehungsmaßnahmen, um bei Kindern erwünschtes Verhalten zu fördern. Und es gibt auch Therapieansätze (ABA und andere verhaltenstherapeutische Therapieformen), die auf dem Prinzip der Belohnung aufgebaut sind. Über die Belohnung soll dabei eine erwünschte Verhaltensweise aufgebaut und erlernt werden. Aber was ist denn eine Belohnung? Sind Belohnungen sinnvoll? Und was ist eine gute Belohnung?
Die Theorie besagt: Eine Belohnung oder ein Lob löst beim Kind ein angenehmes Gefühl aus. Um dieses angenehme Gefühl wieder zu erreichen, wird das erwünschte Verhalten erneut durchgeführt. Es besteht kein Zweifel, dass dadurch die Auftretenswahrscheinlichkeit des Verhaltens erhöht wird. In der Therapie spricht man von Verstärkern, wenn man Belohnungen meint. Durch sie soll das erwünschte Verhalten verstärkt werden.
Die Pädagogik bzw. Psychologie kennt zwei Arten von Belohnungen. Bei der ersten Art wird dem Kind etwas gegeben oder erlaubt, was es gerne mag (Süßigkeit, Spielzeug, Fernseh- oder Computererlaubnis etc., aber auch Lob und Anerkennung). Das nennt man positive Belohnung. Bei der zweiten Art wird ein für das Kind unangenehmer Zustand beendet (Beispiel: Kind erhält nach Erbringen der gewünschten Leistung sein Spielzeug wieder zurück). Das nennt sich dann negative Belohnung. Ein weiteres Belohnungssystem ist das sogenannte Token-System, bei dem Kinder Token sammeln und gegen Belohnungen eintauschen können.
Jetzt ergeben sich durch diese Formen der Belohnung jedoch einige bedeutsame Probleme:
Aus einer Belohnung kann schnell eine Bestrafung werden
Was passiert, wenn das Kind eine Leistung nicht erbringen oder ein erwünschtes Verhalten nicht zeigen kann? Dann bleibt die Belohnung aus. Dann wird aus der versprochenen Belohnung plötzlich eine Bestrafung. Beispiel: Wir versprechen dem Kind für ein erwünschtes Verhalten oder die Erledigung einer Aufgabe, dass es nachher fernsehen darf. Jetzt ist die gestellte Aufgabe aber vielleicht zu groß oder die Erledigung genau heute aufgrund verschiedener Umstände nicht möglich. Darf das Kind dann nicht fernsehen? Bestrafen wir das Kind dann für seine Unzulänglichkeit? Ja, genau das tun wir dann.
Viele Kinder im Autismus Spektrum werden unterschätzt
Oft wird davon ausgegangen, dass autistische Kinder nicht über ausreichend kognitive Möglichkeiten verfügen, um Sachverhalte zu erkennen und Erklärungen zu verstehen. Da viele Kinder nicht sofort in der erwarteten Art und Weise reagieren, werden ihnen kognitive Fähigkeiten schnell abgesprochen. Auch die Möglichkeit, verbal Einspruch zu kommunizieren, ist vielen Kindern nicht gegeben. Dann wird angenommen, dass sie über Belohnungen am ehesten lernen können. Das ist ein folgenschwerer Trugschluss.
Belohnungen werden schnell langweilig
Belohnungen nutzen sich schnell ab und werden wirkungslos. Dann müssen größere Belohnungen her. So entsteht manchmal die Situation, dass um Belohnungen regelrecht gefeilscht wird.
Und irgendwann muss man mit dem Belohnen auch wieder aufhören. Aber wie? Warum sollte das Kind das erwünschte Verhalten weiterhin zeigen, wenn es nicht mehr dafür belohnt wird?
Ich erlebe das manchmal in der Therapiesituation. Kinder, die vorher in einer Therapie waren, in der sie für ihr Verhalten belohnt wurden, sind nicht bereit, ohne Belohnung mitzumachen. Dass das Mitmachen auch einfach Spaß machen könnte, auf diese Idee kommen sie nicht.
Belohnungen sind oberflächlich und verfehlen ihr Ziel
Belohnungen könne dazu führen, dass man sich erst gar nicht mit den Ursachen für ein Verhalten auseinandersetzt. Wenn ein erwünschtes Verhalten nicht gezeigt oder eine Leistung nicht erbracht wird, gibt es immer einen Grund dafür. Hinter jedem Verhalten steckt eine Botschaft. Findet man die Ursache und berücksichtig oder behebt sie, steht der erfolgreichen Leistungserbringung kein Hindernis mehr im Wege. Beispiel: Ein lautes und unruhiges Kind mit Belohnungen zum ruhig sein und still sitzen zu bewegen, wird keinen langfristigen Erfolg erzielen. Solche Erziehungsmaßnahmen werden mit Sicherheit den Bedürfnissen des Kindes nicht gerecht.
Belohnungen machen Kinder schwach und bestechlich
Das wirklich große Problem, das ich sehe und erlebe ist allerdings, dass das Kind das Verhalten nur wegen der in Aussicht gestellten Belohnung oder dem Lob einer Person ausführt. Die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit oder des erwünschten Verhaltens geht dabei verloren. Das Kind hinterfragt sein Tun nicht. Das Kind macht in Aussicht auf eine Belohnung etwas, was es eigentlich gar nicht machen will. Es lässt sich bestechen. Ist es das, was wir unseren Kindern lehren wollen?
Mein Ziel in Erziehung und Therapie ist es, aus den Kindern starke, selbstbestimmte Menschen zu machen. Ein Kind, dass nur für eine Belohnung handelt, agiert nicht aus Überzeugung. Es lernt nicht „Nein“ zu sagen, es lernt nicht selbst zu entscheiden.
Belohnen ist Ausübung von Macht
Wenn wir ein Kind mit Belohnungen erziehen oder therapieren, verlassen wir die Ebene der gleichen Augenhöhe und somit des Respekts. Wir stellen uns über das Kind, wir üben Macht aus.
Die Folge kann auch ein Verlust der Selbstbestimmung und Autonomie sein. Das Kind zeigt ein Verhalten nicht aus freiem Willen, sondern weil es die Belohnung oder das Lob haben möchte, weil es sich ohne unzulänglich fühlt. Die Person, die die Belohnung gibt, sagt was zu tun und was richtig und falsch ist.
Was ist denn nun eine gute Belohnung?
Eine gute Belohnung ist ein Erfolgserlebnis. Die Aufgabe des Pädagogen besteht dabei darin, eine Situation für das Kind zu schaffen, in der es erfolgreich sein kann. Eine erfolgreiche Erledigung einer Aufgabe oder die erfolgreiche Bewältigung einer Situation ergibt ebenso ein angenehmes Gefühl. Es erfüllt das Kind mit Stolz. Das Kind lernt dabei der Sache willen und hat Freude daran, weil Erfolg das Selbstvertrauen und das Selbstwertgefühl stärkt. Die Abhängigkeit vom Wohlwollen anderer Personen entfällt, wodurch eine Fremdbestimmung verhindert wird. Das ist die Voraussetzung für ein erfülltes und selbstbestimmtes Leben, in dem das Kind sich respektiert und wertgeschätzt fühlt. Erfolgserlebnisse sind nachhaltig, weil sie das Kind intrinsisch* belohnen.
Beispiel: Anstatt zu sagen, „wenn du im Supermarkt nicht schreist und nicht wegläufst, dann bekommst du an der Kassa eine Süßigkeit“ wäre es sinnvoller, dem Kind die Anwendung von Gehörschutz zu zeigen und zu erklären. So geben Sie dem Kind eine Strategie zur Hand, mit der es sich vor Überlastung schützen kann. Der erste entspannte Besuch des Kindes im Supermarkt wird ein großes Erfolgserlebnis darstellen. Das Kind wird dann in Zukunft gerne und selbständig seinen Gehörschutz verwenden. Es hat gelernt.
Selbstverständlich soll man Kinder auch für positives Verhalten loben. Auch eine kleine Belohnung (oder besser gesagt Anerkennung) hie und da kann nicht schaden. Diese sollte aber nicht im Vorhinein nach dem „Wenn-dann-Prinzip“ angekündigt werden. Man kann das Kind durchaus mal zwischendurch mit einer Kleinigkeit überraschen:
Einfach so, weil Du so ein wundervolles Kind bist.
*von innen her, aus eigenem Antrieb; durch in der Sache liegende Anreize bedingt