Autismus und Weihnachten

Für viele Menschen ist Weihnachten ein besonders schönes und aufregendes Fest. Es ist die Zeit der Familienfeste, der Geschenke und der (vor)weihnachtlichen Bräuche. Eigentlich sollte es eine be“sinn“liche Weihnachtszeit sein, die zumeist aber eher an ein besinnungsloses Chaos erinnert. Dies betrifft ganz besonders Menschen im Autismus Spektrum. Für sie kann diese Zeit extrem überfordernd, verwirrend und beängstigend sein.

Warum ist Weihnachten für viele Menschen im Autismus Spektrum so schwierig?

Menschen im Autismus Spektrum haben eine besondere, meist intensivere Wahrnehmung als neurotypische Menschen. Sie hören, sehen, fühlen, riechen und schmecken zumeist mehr oder verzerrt. Um sich im Alltag gut zurechtzufinden, benötigen sie die Einhaltung von Ordnung und einer festen Tagesstruktur. Die Weihnachtszeit hingegen bietet alles, was Menschen mit Autismus aus dem Gleichgewicht bringen kann: Veränderungen der Routine, Musik an allen Ecken, schenken und beschenkt werden, helle und flackernde Weihnachtsbeleuchtung, soziale Konventionen, die eingehalten werden sollen, unverstandene Bräuche, viele gestresste und aufgeregte Menschen, Überforderung durch Weihnachtsdekorationen, Strukturlosigkeit, wahrnehmungsbedingte Probleme aufgrund ungewohnter Speisen oder Gerüche und vieles mehr.

Nachfolgend daher einige Ideen und Lösungsvorschläge, um gut und stressfrei durch die Weihnachtszeit zu kommen.

Vorbereitung

Wichtig! Finden Sie eine entspannte Haltung gegenüber den Anforderungen der Weihnachtszeit. Lassen Sie sich nicht von den Erwartungen anderer und gesellschaftlicher Konventionen unter Druck setzen.

Setzen Sie sich über alte Traditionen hinweg, wenn sie für den Betroffenen nicht funktionieren. Feiern Sie Weihnachten so, wie es für alle am angenehmsten ist. Dann wird es ein schönes Weihnachtsfest.

Eine gute Vorbereitung macht dem Menschen im Autismus Spektrum die Weihnachtszeit vorhersehbar und gibt Sicherheit.

  • Erstellen Sie z.B. eine Social Story, in der Sie den Advent, die Bräuche und das Weihnachtsfest erklären.
  • Zeigen Sie Fotos von Personen, deren Besuch zu Weihnachten erwartet wird.
  • Benutzen Sie geeignete Literatur, um die Weihnachtszeit zu erklären (Buchtipp: Weihnachten in Leichter Sprache). Wissen und Verstehen beruhigt und gibt Sicherheit.
  • Benutzen Sie einen Kalender, um deutlich zu machen, wann Besuch erwartet wird, wann Heilig Abend sein wird und dass das Weihnachtsfest auch wieder vorübergeht. Auch ein Adventskalender kann an dieser Stelle nützlich sein.
  • Bieten sie immer einen reizarmen Rückzugsort an. Das kann während des Advents, während der Bescherung oder während der Familienfeier genutzt werden, wann immer eben notwendig.
  • Stellen Sie sicher, dass stets ein Gehörschutz und beruhigendes Stimming-Material zur Verfügung steht.

Geschenke

Manche Menschen im Spektrum empfinden Geschenke als Überforderung. Das heißt nicht, dass sie nicht gerne Geschenke bekommen. Die Überforderung liegt an der Art und Weise des Schenkens. Das Nicht-Wissen, was im Weihnachtspäckchen ist und die Erwartungshaltung des Schenkers können Angst machen.

  • Der Mensch im Autismus Spektrum sollte seine Geschenke selbst aussuchen können und beim Einpacken dabei sein. So werden unangenehme Überraschungen und Überforderung vermieden.
  • Es müssen nicht alle Geschenke auf einmal aufgemacht werden. Man kann die Geschenke auch über einen Zeitraum von mehreren Tagen öffnen.
  • Das Auspacken der Geschenke im Beisein der Schenker ist für viele Menschen schwierig. Deswegen ist es oft sinnvoller, sie alleine zu öffnen. Die Erwartungshaltung der Schenker und Zuschauer ist zu hoch. Dieser Druck ist für Menschen im Spektrum oft unangenehm.
  • Besprechen Sie Geschenke von anderen Personen im Vorfeld. Menschen mit Autismus haben meist ganz besondere Vorlieben, die Freunden und Verwandten oft nicht bekannt sind. So vermeiden sie sinnlose Geschenke und Enttäuschungen auf beiden Seiten, beim Beschenkten und beim Schenker.
  • Manche Menschen haben Schwierigkeiten mit dem Auspacken von Geschenken. Dann ist ein Geschenksäckchen die bessere Lösung.
  • Übertreiben Sie es nicht mit der Anzahl der Geschenke. Eine überschaubare Anzahl an passenden Geschenken vermeidet Überforderung und macht wirklich Freude.

Weihnachtsdekoration

Viele Familien schmücken gerne ihren Wohnraum weihnachtlich. Für eine autistische Person kann es allerdings zu Irritationen führen, wenn der Wohnraum plötzlich anders aussieht.

  • Weihnachtsdekoration ist schön, kann aber visuell überfordern. Es ist daher ratsam, eine „weihnachtsfreie“ Zone zu schaffen oder die Dekoration nur auf einen Raum zu beschränken.
  • Dimmbare Beleuchtungen, die nicht flackern, entlasten das Wahrnehmungssystem.
  • Nicht alles auf einmal Dekorieren. Stellen Sie an einem Tag den Baum auf. Erst am nächsten Tag wird er dann nach und nach geschmückt. Zuletzt die Kerzen. Geben Sie dem Betroffenen Zeit, sich an die Veränderungen zu gewöhnen.
  • Verzichten Sie auf weihnachtliche Duftkerzen.
  • Es ist immer von Vorteil, wenn Sie gemeinsam mit dem Menschen im Autismus Spektrum die Dekorationen auswählen. So vermeiden Sie Überforderung und außerdem ist es eine schöne gemeinsame vorweihnachtliche Tätigkeit.

Routine

  • Bemühen Sie sich, den gewohnten Tagesablauf einzuhalten.
  • Lassen Sie Weihnachten nur fein dosiert in den Tagesablauf einfließen. Schmücken Sie nicht von heute auf morgen die ganze Wohnung weihnachtlich. Es reicht, wenn Sie jeden Tag ein „bisschen Weihnachten“ in Ihren Alltag bringen.
  • Vermeiden Sie unerwartete Besuche und Besucher. Jeder Besuch sollte gut vorbereitet und angekündigt sein.

Familienfeste

In vielen Familien ist das Weihnachtsfest mit familiären Erwartungen verbunden. Da treffen sich Verwandte, die sich den Rest des Jahres kaum sehen. Diese Verwandtschaft ist zumeist nicht mit den Besonderheiten eines Menschen im Autismus Spektrum vertraut. Sie erwarten sich die Einhaltung sozialer Konventionen, wie Händeschütteln, Umarmungen, Danksagungen, Smalltalk oder ruhiges Sitzen bei Tisch.

Es ist daher sinnvoll, entweder die Verwandtschaft auf die Person im Spektrum vorzubereiten, oder (noch besser) nicht gleich die ganze Verwandtschaft einzuladen, sondern vielleicht nur einzeln verteilt über die Feiertage. Besuche bei Verwandten stellen selbstverständlich eine noch größere Herausforderung dar und sollten daher im Vorfeld gut durchdacht und vorbereitet werden.

  • Wenn Sie eingeladen werden, gilt es auch die Essgewohnheiten zu bedenken. Zögern Sie nicht, für die autistische Person eigenes Essen mitzunehmen. Und ersuchen Sie die Gastgeber, den Betroffenen nicht zum Essen ungewohnter Speisen aufzufordern.
  • Denken Sie immer daran, eine Tasche voller beruhigender Lieblingsdinge dabei zu haben.
  • Halten Sie den Besuch kurz und gehen Sie bevor der Betroffene überfordert ist und die Situation eskaliert. Eine aus dem Ruder geratenen Familienfeier hinterlässt für alle Beteiligten (vor allem auch für den Menschen im Autismus Spektrum) eine schlechte Erinnerung. Diese negative Erfahrung wird sich auf die kommenden Familienfeste auswirken.
  • Erwarten Sie bitte nicht, dass ein autistisches Kind mit den Kindern ihres Besuchs oder Gastgebers spielt, während Sie gemütlich plaudern.
  • Nicht alle Besucher oder Gastgeber werden Verständnis für die autistische Person und ihr Verhalten aufbringen. Aber das sollte Sie nicht berühren. Ihr Verantwortungsbereich liegt bei der Hilfestellung des Menschen im Autismus Spektrum und nicht in der Herstellung des Wohlbefindens von Menschen, die sich bisher nicht die Mühe gemacht haben, Ihren autistischen Angehörigen besser kennenzulernen und zu verstehen.

Feiertage

Für viele Menschen im Spektrum sind freie Tage keine willkommene Entspannung, sondern ein Durchbrechen ihrer täglichen Routine. Feiertage oder Urlaube stellen eine strukturlose Zeit dar.

  • Es ist ratsam, dem Betroffenen einen Tagesplan zu erstellen, um Orientierung im Tagesgeschehen herzustellen.
  • Um Langeweile zu vermeiden, können verschiedene Tätigkeiten, Aufgaben oder Spiele angeboten werden. Auch Spaziergänge (mit einem Ziel) oder Ausflüge zu einem für den Betroffenen angenehmen Ort, können helfen, strukturlose Zeiträume zu überbrücken.
  • Verständnisvolle Großeltern oder Freunde sind zu dieser Zeit wertvoll, um auch die Bezugspersonen etwas zu entlasten.

Wenn Sie die Bedürfnisse der autistischen Person erkennen und berücksichtigen, werden Sie eine schöne Weihnachtszeit verbringen können, die auch dem Betroffenen in positiver Erinnerung bleibt.

Ich wünsche Ihnen eine schöne und entspannte Weihnachtszeit.

Susanne Strasser