Wir sind meistens darum bemüht, Menschen im Autismus Spektrum (kurz AS) aus der neurotypischen Sicht „normale“ Sprache und Sprachverständnis anzutrainieren. Und fast immer handelt es sich dabei um ein wenig erfolgreiches Unterfangen, denn die aktive und die passive Sprache von Menschen im Spektrum funktionieren anders als die der Neurotypischen.
Dies führt zu vielen Missverständnissen auf beiden Seiten, Sender und Empfänger. So werden dem Autisten Fragen gestellt oder Anweisungen gegeben, doch die Reaktion darauf ist überraschend anders als erwartet. Diese misslungene Kommunikation bleibt nicht ohne Folgen.
Wenn Fragen oder Aufforderungen entweder missinterpretiert oder erst gar nicht verstanden werden, führt das zu Ängstlichkeit und sozialen Rückzug des Betroffenen. Wer die Sprache seines Gegenübers als unverständlich, verwirrend oder stressig erfährt, wird versuchen, jeder Kommunikation aus dem Weg zu gehen.
Es ist natürlich wichtig, dem Menschen im AS die Besonderheiten unserer Sprache näherzubringen, denn er wird immer wieder in seinem Leben damit konfrontiert sein. Doch dazu braucht es eine gemeinsame Kommunikationsbasis. Diese Basis müssen Eltern, Pädagogen, Assistenzpersonen und andere Bezugspersonen herstellen. Denn Kommunikation besteht immer aus mindestens zwei Seiten: einem Sender und einem Empfänger. Beide Seiten sollten stets um eine gelingende Kommunikation bemüht sein.
Durch die Beachtung einiger einfacher Schritte in der Art und Weise mit einem Autisten zu sprechen, kann eine gute Basis für eine erfolgreiche Kommunikation geschaffen werden.
- Reizarme Umgebung
Eine ruhige und reizarme Umgebung ist die Basis für die Kommunikation mit einer Person, die eine hypersensible Wahrnehmung hat und Umweltgeräusche nicht aus ihrer Aufmerksamkeit filtern kann. Umso reizärmer die Umgebung, umso besser kann kommuniziert werden.
Auch anderer Stress wie z.B. Zeitdruck ist keine gute Grundlage für eine gelungene Kommunikation.
- Eindeutige Sprache
Sprechen Sie in eindeutigen Sätzen und vermeiden Sie überflüssige Informationen.
Überlegen Sie, was der Kern der Aussage ist und reden Sie nicht „um den heißen Brei“ (das ist eine Redewendung, die Sie in der Kommunikation mit einer Person im Autismus Spektrum nicht verwenden sollten). Sagen Sie einfach ehrlich und direkt, was Sie meinen.
- Keine Phrasen und Floskeln
Vermeiden Sie überflüssige Phrasen und Floskeln.
z.B. „schauen wir mal“, „ich sage jetzt mal“, „nicht wahr“, „man sieht sich“, „wenn Du mich fragst…“, „lass gut sein“ etc. Sie haben keinen Informationsgehalt und können für Verwirrung sorgen.
- Keine Redewendungen und Redensarten, keine Ironie und Sarkasmus
Eine Besonderheit vieler Autisten ist, dass sie Sprache wortwörtlich verstehen. Redewendungen sind bildlich-metaphorische Sinnübertragungen, die man nicht wortwörtlich verstehen darf. Beispiel: „der Frühling steht vor der Tür“, „ein Auge auf jemanden werfen“, „die Bordsteine hochklappen“ oder „den Mund halten“ etc. Die Verwendung von Redewendungen kann einen Menschen im Autismus Spektrum überfordern und an der Glaubwürdigkeit des Gesprächspartners zweifeln lassen.
Das gleiche gilt für Ironie, Sarkasmus und Anspielungen. Sie werden wortwörtlich verstanden.
- Präzise Angaben
Seien Sie präzise in Ihren Aussagen. Zeitangaben wie „später“, „gleich“ oder „bald“ sind selten hilfreich. Besser Sie nennen eine genaue Uhrzeit oder Zeitpunkt (z.B. nach dem Essen) oder verwenden Hilfsmittel wie Sanduhren etc. Ebenso verhält es sich mit dem Wort „vielleicht“. Ungenaue Angaben erzeugen Unsicherheit, wann und ob etwas stattfindet.
- Klare Aussagen über Gefühle
Gehen Sie davon aus, dass nonverbale Signale wie Mimik, Gestik, Tonfall oder Körperhaltung keine Bedeutung für einen Menschen im AS haben. Deswegen ist es wichtig, solche Signale verbal zu transportieren. Also sagen Sie, wenn Sie böse, traurig, gelangweilt, belustigt etc. sind. Nur so kann Ihr autistischer Gesprächspartner Ihre Worte richtig einschätzen.
- Überflüssigen Konjunktiv vermeiden
Die deutsche Sprache verwendet sehr oft den Konjunktiv. Wir sagen z.B. „Ich würde gerne wissen, wo ich meine Tasche hingestellt habe“ oder „ich würde gerne fragen“ etc. Was uns als höflich und zurückhaltend erscheint, ist aber eigentlich keine korrekte Sprache. Richtig ist „Wo ist meine Tasche?“.
- Positive Sprache
Verwenden Sie positive Sprache und vermeiden Sie das Wort „nicht“. Es gehört nicht zu den zentralen Aussagen eines Satzes und kann leicht überhört werden. Wenn Sie sagen „heute gehen wir nicht einkaufen“ sind die zentralen Teile des Satzes „heute“ und „einkaufen“. Das „nicht“ kann dann schnell überhört werden. Also ist es besser zu sagen „heute bleiben wir zuhause“.
- Indirekte Aufforderungen vermeiden
Vermeiden Sie indirekte Aufforderungen. Wenn Sie bei Tisch das Salz haben möchten, dann sagen Sie „Gib mir bitte das Salz“ und nicht „ich hätte gerne das Salz“. Dass Sie gerne Salz hätten, ist eine Mitteilung ihrer Wünsche, aber keine Aufforderung.
- Geduld
Berücksichtigen Sie die längere Verarbeitungszeit von gesprochener Sprache mancher Menschen im AS und geben Sie ihre Gegenüber ausreichend Zeit, um zu antworten. Wenn Sie versuchen, die Reaktionszeit mit nochmaligen Fragen oder Aufforderungen zu füllen, führt dies zu Überforderung und Verwirrung.
- Direkte Ansprache
Sprechen Sie den Menschen im AS direkt an, indem Sie seinen Namen nennen. Vor allem im schulischen Kontext kommt es oft vor, dass der Lehrer die Klasse zu einer Tätigkeit auffordert, der autistische Schüler aber nicht reagiert. Obwohl er es gehört hat, fühlte er sich nicht angesprochen.
- Abstand halten
Vermeiden Sie allerdings physisch zu direkt zu sein, um die Aufmerksamkeit ihres Gegenübers zu erhalten. Wenn Sie den Betroffenen aus kurzer Entfernung ansprechen oder gar berühren, fühlt der sich wahrscheinlich sensorisch komplett überfordert und reagiert mit Ablehnung.
- Keinen Blickkontakt einfordern
Vermeiden Sie direkten Blickkontakt und fordern Sie auch keinen Blickkontakt ein. Blickkontakt erfordert von vielen Personen mit AS die volle Konzentration, die dann in der Kommunikation fehlt.
Viele Autisten stellen keinen Blickkontakt her, weil es ihnen entweder unangenehm ist oder weil sie dem Gesicht und den Augen ihres Gesprächspartners keine wertvollen Informationen entnehmen können. Sie können besser denken, hören und sprechen, wenn sie keinen Blickkontakt halten.
- Konstante Wortwahl
Verwenden Sie immer die gleichen Worte für die gleichen Fragen oder Aufforderungen. Nur wenn Sie wirklich sicher sind, dass die Bedeutung eines Wortes nicht verstanden wurde, können Sie auf ein anderes zurückgreifen.
- Immer nur eine Frage oder Aufforderung auf einmal
Stellen Sie immer nur eine Frage oder Aufforderung auf einmal. Vermeiden Sie mehrere Fragen oder Aufforderungen hintereinander. Wenn Sie den Menschen mit mehreren Fragen oder Aufforderungen auf einmal „überfallen“, führt das zu Überforderung. Wenn Sie Glück haben, bekommen Sie dann gerade noch eine Reaktion auf die letzte Frage oder Aufforderung.
- Visuelle Hilfsmittel verwenden
Verwenden Sie visuelle Hilfsmittel, falls gesprochene Sprache schwierig erscheint. „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“.
- Sprechen Sie leise!
Eine leise Stimme wird von Menschen mit hypersensibler Wahrnehmung als angenehm empfunden. Ist die Stimme laut, wird das Gesprochene oft nicht verstanden.
- Nehmen Sie es mit Gelassenheit
Menschen im AS brauchen nicht nur klare Sprache, sie sprechen auch klar. So manches, was Neurotypische nicht sagen würden, um den Gesprächspartner nicht zu kränken, wird von einem Autisten ehrlich und direkt angesprochen. Sehen Sie es als Vorteil, endlich mal ehrliches Feedback zu erhalten und nehmen Sie es mit Gelassenheit.
- Keine Kindersprache
Eine Person im AS mag manchmal eigenartig und ungewohnt erscheinen und neurotypische Sprache falsch interpretieren. Das rechtfertigt aber nicht den Einsatz von Kindersprache. Sie können davon ausgehen, einen intelligenten Menschen vor sich zu haben, der lediglich autistisch ist.
- Höflichkeit und Respekt
Alle Regeln der Höflichkeit und des Respekts gelten auch für den Umgang mit Menschen im AS.
- Keine Angst
Viele Menschen begegnen Autisten mit Berührungsängsten, weil sie nicht wissen, wie Sie sich verhalten sollen. Bemühen Sie sich, diese Ängste abzulegen und gehen Sie auf Ihre autistischen Mitmenschen zu. Wenn Sie unsicher sind, wie sie sich verhalten sollen, fragen Sie einfach. Ein Autist wird sich darüber freuen, dass Sie ihn nicht ignorieren, sondern als gleichwertigen Gesprächspartner erkennen.
Autisten sind ganz normale Menschen, nur eben mit Autismus.
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