“Wie schaffst Du das nur?”

Für „solche Kinder“ gibt es doch Einrichtungen.

Diesen Satz durfte ich von einem Kinderarzt hören, als meine Tochter ein paar Monate alt war und ihre Behinderung deutlich wurde.

Vergeuden sie nicht ihr Leben mit einem behinderten Kind.

So unglaublich es auch klingt, auch dieser Satz stammt von einer Ärztin der Grazer Kinderklinik.

Diese Beispiele mögen extrem klingen, sind aber leider traurige Realität für Eltern von Kindern mit Behinderung.

Es gibt befremdliche Aussagen, die aus Unsicherheit, Verlegenheit und Unwissenheit getätigt werden. Sie sind vielleicht manchmal unangenehm, können dem Sprecher jedoch verziehen werden. Und es gibt unverzeihliche Aussagen von Menschen, die es besser wissen sollten.

Man sollte die Erwartungen an seine Umwelt nicht zu hochstecken. Unsicherheiten und Berührungsängste sind vollkommen normal. Da passiert es dann auch, dass man etwas unüberlegtes sagt oder einfach ungeschickt formuliert. Auch mir passiert das ab und an. Nicht alle Menschen besitzen die Fähigkeit, sich rücksichtsvoll auszudrücken und Zuversicht zu vermitteln. Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass alle helfen wollen, aber manchen gelingt es eben so gar nicht.

Deswegen habe ich hier einen kleinen Auszug an Kommentaren erstellt, die wir Eltern immer wieder zu hören bekommen, die uns kränken, brüskieren oder auf die Palme bringen.

Außenstehende sprechen mit uns Eltern erstmal nicht über unsere Kinder, sondern über uns. Wir Eltern werden dabei als Opfer unserer Kinder gesehen. Unser Gegenüber möchte damit seine Anerkennung für unsere Leistung ausdrücken, was selbstverständlich eine nette Absicht ist. Und ich sehe das auch als positive Geste, denn man könnte ja genauso gut aus Unsicherheit den Kontakt mit mir meiden.

Nichtsdestotrotz enthalten manche Aussagen unserer Mitmenschen Botschaften, die wir nicht hören wollen, weil sie einfach nicht stimmen und zeigen, dass unser Leben mit unseren Kindern missverstanden wird.

So hört man ganz oft Sätze wie

Das tut mir leid für dich, du Arme.

Ich bin nicht arm. Ich habe lediglich ein Kind, das eben mehr Zeit und Energie von mir in Anspruch nimmt. Niemand hat behauptet, dass jeder Lebenslauf ohne Herausforderungen ablaufen muss. Arm bin ich eigentlich nur, wenn meine Mitmenschen mein Kind herabwürdigen und nicht als vollwertigen Menschen sehen, denn das tut nämlich richtig weh.

Wie schaffst du das nur? Ich könnte das nicht.

Was genau kann man da nicht? Sein Kind lieben und versorgen? Helfen, wo geholfen werden muss?

Diese Worte mögen zwar anerkennend gemeint sein, sagen aber gleichzeitig aus, dass der Sprecher mein Kind als Monster sieht, nicht liebenswert, eine Belastung und nur schwer zu ertragen.

Außerdem glaube ich, dass jede Mutter und jeder Vater das kann, wenn es um ihr oder sein Kind geht. Alles andere wäre wirklich traurig.

Ich bewundere Dich. Du bist so stark.

Nein, ich bin nicht immer stark, Aber, was mich nicht umbringt, macht mich stärker.  Die Stärke erwuchs aus dem Umstand, mein Kind ständig verteidigen und beschützen zu müssen. Ich habe gelernt, der Fels in der Brandung für meine Kinder zu sein.

Du musst auf Dich selbst schauen.

Du musste ein paar Tage auf Urlaub fahren und Dich erholen. Nimm Dir doch einen Babysitter. Das wird Deiner Tochter auch guttun, wenn Du nicht immer da bist.

Selbstverständlich müssen Eltern von Kindern mit autistischer Wahrnehmung auch auf sich selbst achten. Es ist niemanden geholfen, wenn Vater oder Mutter plötzlich ausfallen.  Aber Eltern müssen das auf ihre Art und Weise machen, so wie es mit ihrer Lebenssituation verträglich ist. Ein paar Tage Urlaub sind selten eine Möglichkeit zur Erholung. Da muss wochenlang alles vorbereitet werden, damit das Kind dann gut versorgt ist. Und auch der Aufenthalt am Urlaubsort ist meist mit einem unangenehmen Gefühl verbunden, weil man nicht weiß, was daheim gerade passiert. Sind die Menschen, die mein Kind betreuen auch aufmerksam und verständnisvoll genug, um dafür zu sorgen, dass es meinem Kind gut geht? Das ist definitiv keine Erholung. Mein Traumurlaub sähe so aus: Ich liege im Liegestuhl am Strand und schaue einer Gruppe von Babysittern dabei zu, wie sie sich liebevoll und aufopfernd um mein Kind kümmern. Ich lese ein gutes Buch und winke zwischendurch meinem fröhlichen Kind zu. Ja schön wär‘s.

Sei ehrlich, Du bist enttäuscht, dass Dein Kind behindert ist. Du hattest doch andere Pläne.

Klar hatte ich einmal andere Pläne. Ich wollte z.B. Robin Hood heiraten, bin aber nicht wirklich enttäuscht, dass daraus nichts wurde.

Eine weitere Gruppe von Kommentaren bezieht sich dann auf den „Zustand“ unserer Kinder:

Bist Du Dir sicher, dass das nichts mehr wird, dass sie nicht normal wird?

Was ist DAS? Und was ist NORMAL? Außerdem ist sie doch schon was, nämlich meine wunderbare Tochter. Ein tolles Mädchen!

Das wächst sich schon noch aus.

Nein, Autismus wächst sich nicht aus. Wir sprechen hier nicht von einer leicht verzögerten Entwicklung, sondern von einer Diagnose. Therapie kann helfen, die Symptome zu lindern, aber deswegen bleibt der Mensch trotzdem autistisch.

Mein Kind hat auch erst mit vier Jahren zu sprechen begonnen.

Ja, es gibt Kinder, die beginnen erst spät zu sprechen oder zu laufen. Solange sie keine anderen Auffälligkeiten zeigen, ist da nichts Besonderes dran. Solche Sätze sollen Mut machen, zeigen aber nur, dass der Sprecher nicht Bescheid weiß.

Der Neffe meiner Großcousine hat auch Autismus. Ich kenne mich also aus.

Es gibt Menschen, die haben zwar ein wenig Ahnung von Autismus, haben aber noch nicht verstanden, dass jeder Mensch mit Autismus anders ist. Und jede Lebenssituation und Familienkonstellation ist einzigartig, sodass Verallgemeinerungen hoch riskant sind.

Sehr beliebt sind auch Kommentare über die (mangelnde oder falsche) Erziehung, die wir unseren Kindern zu teil werden lassen:

Es kommt immer wieder vor, vor allem bei kleinen Kindern, dass die Diagnosen angezweifelt werden und auffällige Verhaltensweisen der Erziehung der Eltern zugeordnet werden. Autismus ist eben nicht so offensichtlich wie eine körperliche Behinderung. Niemand würde anzweifeln, dass ein Kind im Rollstuhl sitzt, weil die Eltern es falsch erzogen haben oder weil sie es einfach verabsäumt haben, ihm laufen zu lehren. Autismus kann man nicht sehen.

Die Erziehung eines Kindes mit autistischer Wahrnehmung ist nicht annähernd mit der Erziehung eines neurotypischen Kindes vergleichbar. Da herrschen andere Gesetze, die nicht wir als Eltern vorgeben und auch nicht unsere Kinder sich ausgedacht haben, um uns zu tyrannisieren. Diese Gesetze sind von der Natur vorgegeben.  Wir können von unseren Kindern nicht erwarten, dass sie Leistungen erbringen, die ihnen von Natur aus unmöglich sind. Das sind keine Erziehungsfehler, sondern wir erziehen entsprechend der Fähigkeiten unserer Kinder.

Nichtsdestotrotz hört man da so Aussagen wie

Da muss man halt konsequenter sein oder

Der braucht ein paar auf den Hintern

Alles was ich dazu sagen kann, ist, gut, dass es mein Kind und nicht Deines ist.

Du überbehütest das Kind. Wenn Du sie nicht alleine machen lässt, wird sie es nie lernen. Du musst loslassen.

Ich umsorge mein Kind, weil mein Kind meine Hilfe braucht. Ich mache nicht mehr als notwendig, aber es ist eben sehr viel notwendig, um die Lebensqualität meines Kindes zu gewährleisten. Ein Kind mit hohem Pflegebedarf lässt man nicht einfach los, weil es erwachsen geworden ist. Der Pflegebedarf besteht weiter. Ein neurotypisches Kind verlässt das Nest und fliegt davon. Ein Kind mit Autismus kann das nicht.

Und dann gibt es noch einen meiner Lieblingskommentare, von Menschen, die mich zu sich einladen wollen und meine Absage wegen meiner Tochter nicht verstehen:

Ihr könnt sie gerne mitbringen. Sie stört niemanden.

Oh wie nett! Hier wird Akzeptanz mit Toleranz verwechselt. Außerdem lehne ich die Einladung nicht ab, weil meine Tochter den Gastgeber stören könnte, sondern weil sie nicht dorthin auf Besuch gehen mag. Weil sie spürt, dass sie nur toleriert wird und man auf ihre Anwesenheit gerne verzichten würde.

Ach ja und dann ist da noch eine ganz eigene Gruppe von Menschen, die immer jemanden kennen, der mein Kind heilen kann. Einmal ganz davon abgesehen, dass es diese Wunderheilungen nicht gibt, möchte ich gar kein anderes Kind, sondern genau dieses, mit all seinen Besonderheiten. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass der Erteiler der Ratschläge dann im Allgemeinen beleidigt ist, wenn man seinen Geheimtipp nicht nachkommt. In seinen Augen ist man dann eben selber schuld und muss mit den Konsequenzen leben.

Wie reagiert man jetzt am besten in solchen Situationen, in denen jemand unangemessene Kommentare über uns, unsere Situation und über unser Kind von sich gibt?

Man kann nicht davon ausgehen, dass jemand, der es nicht gewohnt ist, mit Menschen mit Autismus umzugehen, die Andersartigkeit auf Anhieb versteht. Es bestehen Berührungsängste, die es zu überwinden gilt. Dies funktioniert aber nur dann, wenn man freundlich und verständnisvoll auf diese Menschen zugeht und ihnen hilft, Autismus zu verstehen. Sie für ihre Ängste und ihre Unwissenheit anzugreifen führt zur Ablehnung oder gar zu Aggression.

Oft kann man nicht direkt antworten, da das Kind zuhört. Obwohl es dem Kind guttäte, einen Fürsprecher und Verteidiger zu haben, wäre die dadurch entstehende dicke Luft für das Kind unangenehm.

Es hängt auch immer von der Tagesverfassung ab, wie man reagiert. Ist man gut drauf, fühlt sich stark und hat Lust zu kommunizieren, sollte man seinem Gegenüber einfach erklären, was Sache ist. Nicht böse, nicht zynisch, das verhärtet die Fronten nur. Eine informative Aufklärung über den Autismus meines Kindes ist sicher die lohnendste Methode für alle Beteiligten.

Alles in allem kann ich empfehlen, freundlich, aber bestimmt zu bleiben. Und nie etwas in Gegenwart des Kindes zu sagen, was ihm nicht guttut. Ich für mich, wende mich in solchen Situationen immer direkt mit einem Lächeln meiner Tochter zu und frage sie „na wie schaffen wir beide das?“  oder „sind wir beide arm, was meinst Du?“ oder „ja wir beide sind wirklich sehr stark“ usw. In dem Moment weiß das Gegenüber sofort, was ich davon halte und dass er/sie sich danebenbenommen hat ohne, dass ich ihn/sie beleidigen musste.