Trauernde Menschen mit Autismus und/oder kognitiver Behinderung begleiten

21 Strategien für den Umgang mit der Trauer 

Stirbt ein Familienmitglied, ein Freund oder eine andere Person, die einem nahesteht, befindet man sich in tiefer Trauer. 

Für Menschen mit kognitiver Behinderung kann so ein Verlust existenzbedrohend sein: Lebensumstände verändern sich, Gewohnheiten müssen aufgegeben werden und oft bedeutet der Verlust eines geliebten Menschen auch den Verlust von Sicherheit, von Kommunikation, von Liebe und Verbundenheit. Oft wir durch den Verlust einer nahestehenden Person auch der Umzug in eine Wohneinrichtung notwendig. Es entsteht ein Gefühl der Einsamkeit und der Angst vor der Zukunft. Aber auch der Verlust eines Haustiers oder eines bewunderten Stars kann große Trauer hervorrufen. 

Vielen Menschen ist die Begegnung mit trauernden Menschen unangenehm. Sie wissen nicht, wie sie helfen können und was sie sagen sollen. Sie fühle sich hilflos. Sie befürchten, dass alles, was sie sagen, falsch sein könnte. 

Aus diesem Grund habe ich einige Überlegungen für den Umgang mit trauernden Menschen mit Autismus und/oder kognitiver Behinderung gesammelt: 

  1. Über das Sterben und den Tod sprechen.

Sterben ist ein Teil des Lebens. Es ist daher sinnvoll, über das Sterben und den Tod zu sprechen, auch wenn gerade kein Todesfall ansteht. Wenn man aus dem Thema kein Geheimnis macht, sondern immer wieder ungezwungen und ehrlich darüber spricht, schafft man eine gute Vorbereitung für den Ernstfall. 

  1. Konsens aller Bezugspersonen 

Finden Sie einen Konsens mit anderen Bezugspersonen, wie Sie dem Menschen mit Behinderung helfen wollen. Ist der Ernstfall einmal eingetreten, bleibt keine Zeit mehr für Diskussionen und Unstimmigkeiten in der Zusammenarbeit. Dann sollte „das Team bereits stehen“ uns sich einstimmig um den Trauernden kümmern. 

  1. Respekt und Wertschätzung 

Auch wenn ein Mensch sich aufgrund seiner kognitiven Behinderung nicht verbal äußern kann, dürfen wir nie voraussetzen, dass wir wissen, was er braucht und was ihm hilft. Das Überstülpen einer Strategie ist selten hilfreich. 

Wir können Angebote machen und mit Geduld und Einfühlungsvermögen abwarten, ob sie angenommen werden. Angebote dürfen angenommen, aber auch abgelehnt werden. Da wir oft nicht wissen, welche Angebote für die trauernde Person passend sind, dürfen wir das Ablehnen von Angeboten nicht persönlich nehmen. 

  1. Jeder trauert auf seine eigene Art und Weise.

Es gibt keine “richtige” Art zu trauern. Manchmal kann es sein, dass wir die Trauerreaktion eines anderen nicht verstehen. Das müssen wir auch nicht. Wichtig ist nur, dass wir sie akzeptieren. Wir dürfen die Trauer anderer Menschen nicht bewerten, nur weil sie anders ist, als wir es kennen oder erwarten. Trauer kann sehr verwirrend und überfordernd sein. Deswegen können auch die Reaktionen der trauernden Personen sehr verwirrend sein. Ihre Gefühlswelt ist auf den Kopf gestellt und spielt sozusagen verrückt. Mögliche Trauerreaktionen sind Wut, Schuldgefühle, Traurigkeit, Sehnsucht, Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, Unruhe, Rückzug, Verwirrtheit, Albträume. Auch selbstverletzendes Verhalten ist eine häufige Trauerreaktion. 

  1. Trauer ist normal. 

Trauer ist ein natürlicher und sinnvoller Prozess, der nicht unterdrückt werden darf. Das gilt es dem Trauernden klar zu machen. 

Auch wenn es für uns leichter ist, wenn die trauernde Person keine Trauerreaktion zeigt, also z.B. nicht weint, sollten wir stets bedenken, das Tränen, Wut, Angst etc. gesunde und normale Reaktionen sind, die zu durchleben dem Betroffenen helfen. 

  1. Ehrlichkeit 

Ehrlichkeit im Umgang mit anderen schafft Vertrauen und Sicherheit. Misstrauen und Unsicherheit ist das Letzte, was ein Mensch mit kognitiver Behinderung in einer Trauersituation benötigt. 

Erzählen Sie den trauernden Menschen daher keine Unwahrheiten. Auch Mensch mit kognitiven Behinderungen haben das Recht auf Wahrheit. Damit sind natürlich nicht grausige Details eines Unfallhergangs gemeint, sondern einfache Tatsachen über das Sterben und den Tod. 

  1. Eindeutige Sprache 

Wählen Sie eindeutige Worte, die der Betroffene verstehen kann. Sagen Sie “Oma ist gestorben” und nicht “Oma hat uns verlassen” oder “Papa ist für immer eingeschlafen” oder “Opa ist in den Himmel geflogen” oder “sein Licht ist für immer erloschen”. Mit diesen Umschreibungen werden falsche Vorstellungen vermittelt, die verwirren oder sogar Angst machen können. 

  1. Auf Augenhöhe begegnen.

Zwischen den Menschen mag es große Unterschiede geben. Aber was Gefühle anbelangt, sind wir uns alle sehr ähnlich. Deshalb sollten wir uns Augenhöhe begegnen. Meine Trauer ist nicht anders oder mehr wert als die Trauer eines Menschen mit kognitiver Behinderung. 

  1. Teilhabe am Trauergeschehen 

Geben Sie dem Menschen mit kognitiver Behinderung die Möglichkeit, Abschied zu nehmen. Dies erleichtert es, die Tatsache des Todes zu akzeptieren und zu verstehen. Das Fernhalten von Beerdigungen und Trauerfeiern mit der Absicht, den Menschen mit kognitiver Behinderung zu schonen, führt lediglich dazu, dass der Betroffene den Tod der geliebten Person nicht realisieren kann. Das erschwert den Trauerprozess.  

  1. Behalten Sie Alltagsroutinen bei 

Auch wenn diese angesichts der Situation oft unwichtig anmuten, geben sie doch Sicherheit. Sie zeigen, dass das Leben nicht völlig aus der Bahn geraten ist. 

  1. Was passiert nach dem Tod? 

Finden Sie gemeinsam mit der trauernden Person eine tröstliche Antwort darauf, was mit dem Menschen nach dem Tod passiert. Sie müssen keine fertigen Antworten parat haben und dürfen ruhig zugeben, dass Sie es auch nicht wissen. Niemand weiß es. Aber es gibt verschiedene Ansätze: Vielleicht ist der Verstorbene jetzt im Himmel oder vielleicht wird er in Form eines anderen Lebewesens wiedergeboren. Gläubigen Menschen mag die Vorstellung, dass der Verstorbene jetzt bei Gott ist, helfen. Eine ehrliche und klare Antwort gibt Adelheid Utters-Adam (2001): “Wenn ein Mensch stirbt, hört sein Herz auf zu schlagen. Niemand weiß, wie es ist, tot zu sein. Wir sehen nur, dass ein toter Mensch nicht mehr atmet, sich nicht mehr bewegt, nicht mehr spricht und nicht mehr denkt. 

  1. Auch Behinderte haben das Recht zu trauern.

Man darf ihnen ihre Trauer nicht aberkennen, nur weil sie ihre Trauer vielleicht nicht adäquat zeigen können. Auch die Annahme, der Behinderte verstehe den Verlust ohnehin nicht, ist sehr bedenklich. Wenn wir glauben, dass der Verlust nicht verstanden wird, ist es unsere Aufgabe, ihn verständlich zu machen. Das plötzliche unerwartete Verschwinden einer Person kann zur Annahme führen, mutwillig verlassen worden zu sein, nicht mehr geliebt zu sein etc. Das würde noch einen weiteren Schmerz bedeuten. Es ist wichtig hervorzuheben, dass die verstorbene Person gerne noch weiter für den Betroffenen da gewesen wäre. 

  1. Eigene Trauer nicht verstecken.

Wir müssen uns vor den Menschen mit kognitiver Behinderung nicht verstellen. Ganz im Gegenteil. Wir sollten so authentisch wie möglich sein, denn so sind wir am vertrauenswürdigsten. Wenn wir Trauer empfinden, können wir es daher zeigen, getreu dem Motto: Geteiltes Leid ist halbes Leid. Miteinander weinen kann sehr befreiend sein und gibt das Gefühl, nicht alleine mit dem Schmerz zu sein. Es schafft innere Verbundenheit. Außerdem zeigen Sie dadurch, dass es ganz in Ordnung ist, Gefühle zu zeigen. 

  1. Fragen beantworten.

Fordern Sie die trauernde Person auf, Fragen zu stellen. So können Sie feststellen, was die Person schon weiß und was eben nicht. Vielleicht entdecken Sie dabei auch Wissenslücken oder beängstigendes Falschwissen, das Sie dann korrigieren können. Unter Falschwissen gehört z.B. dass die geliebte Person in die Hölle kommt oder als Gespenst herumspukt. 

  1. Aktive Teilnahme an Trauerritualen 

Für Trauernde kann es tröstlich sein, sich aktiv an Trauerritualen zu beteiligen. Das gibt das Gefühl, noch etwas für den Verstorbenen tun zu können. Also geben Sie der trauenden Person im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Gelegenheit zur aktiven Teilhabe. Sie könnte z.B. die Musik oder die Blumen für die Beerdigung auswählen, Sargbeigaben aussuchen oder gestalten, Kerzen für den Verstorbenen anzünden etc. 

  1. Vorbereitung auf die Trauerfeier oder die Beerdigung 

Bereiten Sie die trauernde Person unbedingt auf die Trauerfeier oder Beerdigung vor. 

Erklären Sie im Vorfeld, was dort passieren wird. Einfach nur zu sagen, dass man bei der Beerdigung vom Verstorbenen “Abschied nimmt”, hat wenig Aussagekraft. Wenn die Person weiß, was genau auf sie zukommt, hat sie die Möglichkeit, aktiv daran teilzunehmen und Trost dadurch zu erhalten. 

Verwenden Sie Fotos oder Videos (z.B. von YouTube), um die Abläufe und Geschehnisse einer Beerdigung zu erklären.

Falls jemand an einer Beerdigung nicht teilnehmen kann, könnte man die Beerdigung auch filmen und mit dem Betroffenen zusammen anschauen. Das kann helfen, das Verschwinden der verstorbenen Person zu erklären. 

  1. Perspektiven aufzeigen.

Es ist wichtig, dem Betroffenen zu helfen, neue Perspektiven in seinem Leben zu sehen. Das Leben ist durch den Verlust einer nahestehenden Person für uns nicht zu Ende. Eine neue Lebenssituation birgt neue Chancen. Ein Kalender, indem Sie gemeinsam eintragen, was in Zukunft alles stattfinden wird (Geburtstage, Besuche, andere Feste etc.) kann hilfreich sein. 

  1. Platz für Andenken 

Vielen Trauernden sind Bilder und Gegenstände der verstorbenen Person wichtig. Schaffen Sie daher einen Ort, an dem all dies aufbewahrt und wertgeschätzt wird. Das schöne Anordnen von Erinnerungsstücken und Bildern gibt das Gefühl, noch etwas für die Person tun zu können. Außerdem bleibt sie so ein stückweit im Hier und Jetzt. 

  1. Erinnerungsbuch oder -schachtel 

Das gemeinsame Erstellen eines Erinnerungsbuches oder einer Schachtel mit Bildern, Gegenständen, Todesanzeige, Trauerkarte, lustigen Geschichten und Erinnerungen, der Lieblings-CD des Verstorbenen etc. ist eine aktive Bewältigungsstrategie und dient viele Jahre als tröstliche Erinnerung. 

  1. 24-Stunden Kummernummer 

Finden Sie, wenn möglich, Kontaktpersonen, die zur Verfügung stehen, wann immer der Betroffenen Hilfe braucht. Die Kontaktdaten, z.B. Telefonnummer, schreiben Sie auf ein Kärtchen und stellen Sie dem Trauernden zur Verfügung. Wahrscheinlich wird er sie nicht in Anspruch nehmen, aber das Gefühl, dass jemand da ist, der zuhört und hilft, gibt das Gefühl, nicht allein zu sein und ist tröstlich. 

  1. Schreiben Sie einen Brief oder erstellen Sie ein Video oder eine Audioaufnahme.

Auch Sie werden einmal sterben – ganz sicher. Vielleicht hinterlassen Sie dann einen Menschen mit Autismus und/oder kognitiver Behinderung. Es kann für den Betroffenen dann tröstlich sein, wenn Sie ihm einen Brief, ein Video oder eine Audioaufnahme hinterlassen, indem Sie ihn direkt ansprechen. Sehen Sie es als Chance, dem Trauernde noch einmal zu sagen, wie schön das Leben mit ihm zusammen war und dass es ganz natürlich ist, einmal zu sterben. Sagen Sie ihm, dass Sie wissen, dass er jetzt traurig ist und dass das ganz in Ordnung ist und wieder vorübergeht. Sagen Sie alles, was Sie möchten, dass der Hinterbliebene weiß und hinterlegen Sie das Dokument so, dass Sie sicher sein könne, dass der Betroffene es nach Ihrem Tod erhält. 

Bücher über den Tod und das Sterben für Kinder (die aber auch viel Nützliches für Erwachsene enthalten)

Fried, Amelie (1997): Hat Opa einen Anzug an?. München: Carl Hanse Verlag

Schroeter-Rupieper, Mechthild & Sönnichsen, Imke (2020): Geht sterben wieder vorbei?. Stuttgart: Thienemann-Esslinger Verlag

Utters-Adam, Adelheid (2001): Kinder fragen: „Wo wohnt der liebe Gott?“. Augburg: Bechtermütz

Stalfelt, Pernilla (2000): Und was kommt dann? Das Kinderbuch vom Tod. Frankfurt am Main: Moritz Verlag

Varley, Susan (2009): Leb wohl, lieber Dachs. Frankfurt am Main: Betz Verlag

Mennen, Patricia (2019): Abschied, Tod und Trauer. Ravensburg: Ravensburger Verlag

Hilfreiche Texte in leichter Sprache 

Bonn Lighthouse: Trauer. ©Scope (Vic) Ltd 2007, Translation Bonn Lighthouse e. V.: https://www.dgpalliativmedizin.de/images/Trauer_Bonn_Lighthouse.pdf (abgerufen am 5.6.2021) 

Eisenmann, Maximiliane & Hell, Peter (Caritasverband für die Diazöse Augsburg e. V.); Hinz, Thorsten (Bundesfachverband Caritas Behindertenhilfe e. V. – CBP; Wehner, Kristina (CAB Caritas Augsburg Betriebsträger GmbH) Herausgeber: Bundesfachverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e. V. (CBP): Wie ist das, wenn ich sterbe? Informationen in leichter Sprache Broschuere_Sterben_LeichteSprache_A5_red.pdf (abgerufen am 5.6.2021) 

Literatur

Witt-Loers, Stephanie (2019): Trauernde Menschen mit geistiger Behinderung begleiten. Orientierungshilfe für Bezugspersonen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht

Luchterhand, Charlene & Murphy, Nancy (2010): Wenn Menschen mit geistiger Behinderung trauern. Vorschläge zur Unterstützung. Weinheim: Juvena

Schmidt, Thomas (2008): Ein Leben ohne Dich. Die Trauer von erwachsenen Menschen mit geistiger Behinderung. Saarbrücken: VDM Verlag Dr. Müller