Ein grundlegendes Diagnosekriterium für Autismus sind die Auffälligkeiten in der sozialen Kommunikation.
Dazu zählen laut ICD-11* unter anderem „Verstehen und Gebrauch von Sprache in sozialen Kontexten“ sowie „Integration der gesprochenen Sprache mit typischen komplementären nonverbalen Hinweisen wie Augenkontakt, Gestik, Mimik und Körpersprache.“
Diese Auffälligkeiten der Kommunikation, welche in verschiedenen Ausprägungen auftreten können, werden auch als Konkretismus und Sprachpragmatik bezeichnet.
Konkretismus bedeutet, dass Sprache wörtlich (konkret) verstanden wird. Es findet ein Festhalten an der konkreten Wortbedeutung statt.
Sprachpragmatik ist das situative Sprachverständnis. Das Wissen, wie eine Aussage in einer bestimmen Situation zu verstehen ist.
Wie kann man sich das nun vorstellen?
Unsere Sprache besteht aus unzähligen Redewendungen und übertragenen, mehrfachen Bedeutungen. Viele sprachlichen Äußerungen sind ironisch gemeint. Der Großteil unserer Kommunikation wird obendrein erst durch Mimik und Gestik verständlich.
Redewendung wie z.B. „einen Frosch im Hals haben“ oder „den Faden verlieren“ etc. können nicht im übertragenen (metaphorischen) Sinn, sondern nur wortwörtlich verstanden werden. Eine Aussage, wie „kannst Du bitte kurz den Mund halten“ führt dazu, dass zwar der Mund gehalten, aber dennoch weitergesprochen wird.
Außerdem sagen wir selten, was wir meinen. Wir fragen bei Tisch „kann mir jemand das Salz reichen?“. Die Antwort eines Menschen im AS kann dann durchaus ein „ja“ sein. Das heißt dann aber nicht, dass er Ihnen das Salz auch reichen wird. Denn darum haben Sie ja nicht gebeten. Sie haben ja lediglich danach gefragt, ob er es kann. Der Aufforderungscharakter Ihrer Aussage ist schlichtweg nicht angekommen, weil er nicht konkret formuliert wurde (Konkretismus).
Unter Ironie versteht man, wenn sich eine positive Bedeutung durch einen geänderten Kontext in eine negative Bedeutung verändert. Ironie bedeutet in seiner einfachsten Form, einfach das Gegenteil dessen zu sagen, was man tatsächlich meint. Dies ist oft mit Mimik und Gestik begleitet, die klarmachen sollen, wie das Gesprochene gemeint ist. Wer Mimik und Gestik nicht lesen kann, ist klar im Nachteil. So bedeutet ein einfaches „Bravo“ nach einer guten Leistung ein Lob. Wenn jetzt aber gerade ein volles Glas auf den Boden gefallen ist, ist die Aussage „Bravo“ reine Ironie. Sie bedeutet in dieser Situation genau das Gegenteil (Sprachpragmatik).
Welche Auswirkungen haben Konkretismus und Sprachpragmatik für die Betroffenen?
Soziale Beziehungen leiden, wenn die Kommunikation nicht funktioniert. Gesagtes wird nicht verstanden oder missverstanden und führt zu Verwirrung. Anweisungen werden wortwörtlich verstanden und oft zum Unverständnis der Umgebung falsch ausgeführt. Das hinterlässt bei Betroffenen ein Gefühl der Hilflosigkeit und der Minderwertigkeit.
Schwerwiegende Folgen können Mobbing, Depressionen, soziale Ängste und Störungen des Selbstwertgefühls sein.
Manche Betroffene reagieren auf missverstandene Kommunikation auch mit Aggression.
Die meisten erwachsenen Personen im AS haben im Laufe der Jahre gelernt, wie sie neurotypische Kommunikation entschlüsseln können. Redewendungen können wie Vokabeln geübt werden. Und auch die Bedeutung von Mimik und Gestik kann durch bewusstes Beobachten erlernt und sogar erworben werden.
*Internationales Klassifikationssystem von Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO